Der Lyriker Heine

Friedrich Nietzsche in Ecce Homo:

„Den höchsten Begriff vom Lyriker hat mir Heinrich Heine gegeben. Ich suche umsonst in allen Reichen der Jahrtausende nach einer gleich süßen und leidenschaftlichen Musik. Er besaß jene göttliche Bosheit, ohne die ich mir das Vollkommene nicht zu denken vermag… Und wie er das Deutsche handhabt!“


Marcel Reich-Ranicki charakterisiert mit Stabreimen das Werk desjenigen Dichters, der mit einer „Synthese aus Witz und Weisheit, Charme und Scharfsinn, Gefühl und Grazie“ die deutsche Lyrik modernisierte. Heine, der entlaufene Romantiker, stellt Stadtlandschaften neben blaue Blümchen und Nachtigallen und formuliert Umgangssprachliches in elegantem Wohlklang und virtuoser Metrik. Er verbindet Poesie und Intellekt und verliert bei aller Leichtigkeit nie an Tiefgang.
Heine berichtet in seinen Reisebildern 1827, dass Cervantes' Don Quijote, das erste nennenswerte Buch war, das er als Kind selbst las – wohlgemerkt in nur einem Sommer. In Heines Vorwort zum Don Quijote, das er 1837 als Auftragsarbeit schrieb, wird deutlich, dass er sich zeitlebens immer wieder mit diesem Werk auseinander gesetzt hat. Letztendlich durchzieht das Tragisch-komische des Don Quijotes, wenn auch in unterschiedlichen Schattierungen, auch Heines gesamtes Schaffen. Der Heine-Biograph Hosfeld beschreibt als gemeinsames Element im Werk Heines, Cervantes und auch Shakespeares - ebenfalls ein großes Vorbild Heines - „ein ambivalentes Nebeneinander von Erhabenem und Lächerlichem, von Pathos und Komik […]. Gegensätze, bei denen das eine dem anderen zur „Abschattung oder zur Beleuchtung dient“ und die sich nicht in einer höheren Harmonie auflösen lassen“.

Marcel Reich-Ranicki warnt davor, die Bedeutung Heines jüdischer Herkunft zu unterschätzen. Heine wächst in der ersten Generation der den deutschen Bürgern offiziell gleichberechtigten Juden auf, doch der gesellschaftliche Prozess der Emanzipation verläuft verzögert und Heine wird zeitlebens mit Ausgrenzung und Antisemitismus konfrontiert sein. Noch bevor er nach seiner Taufe feststellen muss, dass er in Deutschland immer noch nicht als Deutscher anerkannt wird schreibt er resigniert: Das deutsche Wort sei „ein Vaterland selbst demjenigen, dem Torheit und Arglist ein Vaterland verweigern“ (Heine in Die Romantik, 1820). Heine findet also ein ideelles Vaterland in der deutschen Sprache, das ihm nicht verwehrt werden kann.
Marcel Reich-Ranicki geht so weit und folgert, dass das Leitmotiv der unglücklichen – oder vielmehr der unmöglichen – Liebe in Heines Lyrik der stilisierte Schmerz der Heimatlosigkeit und der „Nichtzugehörigkeit des ganz und gar assimilierten und doch nicht emanzipierten Juden“ sei. Die Ironie und sein Zynismus dienen Heine als Maske und Zuflucht, um mit diesem Schmerz umzugehen.


Der arme Peter (Buch der Lieder, 1827)
I.
Der Hans und die Grete tanzen herum,
Und jauchzen vor lauter Freude.
Der Peter steht so still und stumm,
Und ist so blaß wie Kreide.

Der Hans und die Grete sind Bräut'gam und Braut,
Und blitzen im Hochzeitgeschmeide.
Der arme Peter die Nägel kaut
Und geht im Werkeltagskleide.

Der Peter spricht leise vor sich her,
Und schaut betrübet auf beide:
»Ach! wenn ich nicht gar zu vernünftig wär,
Ich täte mir was zuleide.«

II.
In meiner Brust, da sitzt ein Weh,
Das will die Brust zersprengen;
Und wo ich steh, und wo ich geh,
Will's mich von hinnen drängen.

Es treibt mich nach der Liebsten Näh',
Als könnt's die Grete heilen;
Doch wenn ich der ins Auge seh,
Muß ich von hinnen eilen.

Ich steig hinauf des Berges Höh',
Dort ist man doch alleine;
Und wenn ich still dort oben steh,
Dann steh ich still und weine.«

III.
Der arme Peter wankt vorbei,
Gar langsam, leichenblaß und scheu.
Es bleiben fast, wenn sie ihn sehn,
Die Leute auf der Straße stehn.

Die Mädchen flüstern sich ins Ohr:
»Der stieg wohl aus dem Grab hervor.«
Ach nein, ihr lieben Jungfräulein,
Der legt sich erst ins Grab hinein.

Er hat verloren seinen Schatz,
Drum ist das Grab der beste Platz,
Wo er am besten liegen mag,
Und schlafen bis zum Jüngsten Tag.