"Zeitgenosse Heine"

„Was Heine aber wirklich auszeichnet, ist die Verbindung des polemischen Bewusstseins eines politischen Schriftstellers mit dem Wahrheitspathos des empfindsamen Lyrikers, der sich zum unbestechlichen Seismographen der eigenen Regungen macht.“ (Habermas)


Soldat im Befreiungskriege der Menschheit
In seinen Reisebildern erklärt Heine, dass er sich nicht als Künstler in der Lyrik verdient machen will, sondern vielmehr als Schriftsteller für sein politisches und gesellschaftliches Engagement geschätzt werden will:

„Die Poesie, wie sehr ich sie auch liebte, war mir immer nur heiliges Spielzeug oder geweihtes Mittel für himmlische Zwecke. Ich habe nie großen Wert gelegt auf Dichterruhm, und ob man meine Lieder preiset oder tadelt, es kümmert mich wenig. Aber ein Schwert sollt ihr mir auf den Sarg legen; denn ich war ein braver Soldat im Befreiungskriege der Menschheit.“
(Reise von München nach Genua, Kapitel 31)


Advokat des Volkes
Es gibt mehrere Fälle, in denen Heine sich öffentlich Unrecht und Unterdrückung anklagt. Der beispielhafteste Moment ist wohl Heines Reaktion auf die Repressionen, die von Preußen und Metternich nach dem Hambacher Fest ausgingen. In seiner radikalen Vorrede zu den Französischen Zuständen schreibt er:

„Kraft meiner akademischen Befugnis als Doktor beider Rechte erkläre ich feierlichst, daß eine solche von ungetreuen Mandatarien ausgefertigte Urkunde null und nichtig ist; kraft meiner Pflicht als Bürger protestiere ich gegen alle Folgerungen, welche die Bundestagsbeschlüsse vom 28. Juni aus dieser nichtigen Urkunde geschöpft haben; kraft meiner Machtvollkommenheit als öffentlicher Sprecher erhebe ich gegen die Verfertiger dieser Urkunde meine Anklage und klage sie an des gemißbrauchten Volksvertrauens, ich klage sie an der beleidigten Volksmajestät, ich klage sie an des Hochverrats am deutschen Volke, ich klage sie an!"

Mit diesem öffentlichen „J'accuse an die Adresse des Deutschen Bundestages“ begibt sich Heine „in die Rolle eines öffentlichen Advokaten übergeordneter Menschenrechte […], dessen Legitimation darin bestand, Kritik als Beruf und sich selbst als Gewissen der Nation zu betrachten.“ (Hosfeld)


Zeitgenosse

„Heine hatte ein fast absolutes Gehör für die Dissonanzen seiner Zeit. […]
Die Restaurationsordnung des Wiener Kongress hielt er mit seinem Lehrer Hegel für überlebt, bevor sie sich etablierte.
In den Jahren der beginnenden Nationalbewegungen blieb er ein Europäer, der ein feines Sensorium für den gar nicht so feinen Unterschied zwischen republikanischem und altdeutschem Nationalismus entwickelte.
Nicht zuletzt richtete er als Erster ein waches Auge auf die dunklen Energien eines in Ausnahmezuständen drohenden Populismus, und er sah, besonders in Frankreich, als Erster die Gefahren eines „aufgeklärten“ Antisemitismus.“ (Hosfeld)

Nationale Egoismen, die sich heute gegen einen tieferen europäischen Gedanken stellen, der Antisemitismus, der zu früh zu klein geglaubt wurde und zu dessen extremsten Auswüchsen der Anschlag auf die Synagoge in Halle zählt sowie Populisten, die Probleme nicht in ihrer Komplexität erfassten, sondern sie für ihre Zwecke missbrauchten machen Heine uns Heine im 21. Jahrhundert zum Zeitgenossen.


Doktrin (aus Zeitgedichte, 1844)

Schlage die Trommel und fürchte dich nicht,
Und küsse die Marketenderin!
Das ist die ganze Wissenschaft,
Das ist der Bücher tiefster Sinn.

Trommle die Leute aus dem Schlaf,
Trommle Reveille mit Jugendkraft,
Marschiere trommelnd immer voran,
Das ist die ganze Wissenschaft.

Das ist die Hegelsche Philosophie,
Das ist der Bücher tiefster Sinn!
Ich hab sie begriffen, weil ich gescheit,
Und weil ich ein guter Tambour bin.


Vertonung von Moritz Eggert (2006):